Achim Wagner
27 schleusen bis zum meer
eingerollte schläfer in den hausecken am ku’damm sommerstadt berlin vier uhr morgens vereinzelte fahrzeuge auf den straßen polizei & lieferverkehr uringestank... zwei bardamen mit übereinandergeschlagenen beinen sitzen auf klappstühlen vor einem leeren nachtlokal mit rotem neonherz über dem eingang... eine frau schwankt auf mich zu die augen glänzen ihre sätze riechen nach bier + korn was sie sagt kann ich zunächst nicht verstehen ihr kopf neigt sich an meine schulter & für einen moment halte ich sie in den armen k-k-k-kommmsssstte mmmmit z-z-z-m-mmiiiir? ich schüttle den kopf sie stößt mich weg & wankt & flucht... an einer imbissbude stehen die jungs eines sicherheitsdienstes schlägergesichter mit glatzen in roten t-shirts: laute sprüche gelächter ((&)) eine hure beendet ihre schicht die schminke verschmiert die stiefel in der hand barfuß mit dem taxi vom zoo ans ende der nacht... es sind 27 schleusen bis zum meer erzählte der bootsverleiher nachmittags im treptower park & zeigte die richtung: meine hände an die ruder den rücken zur sonne schläge in die spree... noch vor der ersten schleuse kehrte ich um erschöpft mit schwielen an den fingern... jetzt suche ich das meer am himmel hinter den bahngleisen einen nordstern zur orientierung für ein erfundenes floß vergebens... ein renter fragt mich nach feuer ich zünde seine zigarette an meinen namen möchte er wissen achim knurre ich & erwarte einen monolog den ich nicht hören möchte aber der alte sagt bloß vielen dank achim lächelt nickt geht ((& ich bin beschämt))... drei druckfrische zeitungen klaue ich aus briefkästen als decken für mein temporäres bett = eine holzbank an der kaiser-wilhelm-gedächtniskirche... in meinen hosentaschen finde ich zwei geldscheine & stopfe sie in die schuhe... mein gepäck vermute ich in einem schließfach zu dem mir der schlüssel fehlt... ich spüre falten auf der stirn einen müden körper der jeden gedanken besiegt & fühle mich wie eine nebenfigur in einer maxim-gorki-geschichte auf durchreise... den ersten zug nach dem aufstehen werde ich nehmen nach links oder rechts... es sind 27 schleusen bis zum meer...
achim wagner
(veröffentlicht in lauter niemand nr. 7)...
Achim Wagner, 1967 in Coburg geboren, lebt als freier Autor in Köln. Mehrere Einzeltitel, so der Gedichtband "vor einer ankunft" bei yedermann, München, 2006. Etliche literarische Auszeichnungen, zuletzt das sechsmonatige Istanbul-Stipendium der Kunststiftung NRW, 2009.