Anmerkung: Dieser Text ist als Vorlage für einen mündlichen Vortrag mit Zuspielung (I-X) zu verstehen und entbehrt daher Präzisionen, die durch weiterführende Anmerkungen möglich wären.


Mara Genschel

T.EXT ca. 37°

Um über den musikalischen Aspekt meiner Auffassung von Sprache hier offen nachzudenken würde ich gern ein paar Notizen zu meiner Waschmaschine präsentieren.
Es handelt sich dabei ausdrücklich um Notizen.
Die Ausschnitte, die ich Ihnen vorspielen werde, sind so gut wie unbearbeitete Aufzeichnungen des klanglichen Ereignisses "Waschmaschine" und beanspruchen zunächst natürlich keinen ästhetischen Mehrwert. Es ist sogar so, dass der Akku meines Aufnahmegerätes (MD) schlecht bis gar nicht mehr funktioniert und das Geräusch der Rückkopplung mit dem angeschlossenen Ladegerät dauerhaft präsent ist - sozusagen als Orgelpunkt.
Gerade dieser Ton ist mir aber besonders lieb, weil er die Notizhaftigkeit meiner Aufnahmen deutlich markiert: er ist das distanzierende Moment, die Materialität der sich selbst bewussten Wahrnehmung. Er ist der Stift, dem beim Schreiben die Tinte ausgeht oder der verschmiert: er markiert eine heiser dahingekritzelte Schriftlichkeit.
Worum geht es mir bei diesen Notizen?
Auf der ersten Ebene geht es mir um die Lust der Wahrnehmung musikalischer Prinzipien: den ächzenden, quasi allmächtigen Grundton, die bisweilen mitschwingenden Quinten, die schnellen Beats, die Wiederholungen, die Stille.
Auf zweiter Ebene, das alles einbeziehend, geht es mir aber um Darstellung und Nachvollzug von Reibung.
Um interne Resonanzen.
Schein- und unscheinbare Obertöne.
Es geht mir um die abstrakt-konkrete Kommunikation der Geräusche. Um ihr Schimmern.

[I]

Vielleicht haben Sie die Waschmaschine als Waschmaschine erkannt, vielleicht hätten Sie sie nicht sofort erkannt, wenn ich sie nicht als Waschmaschine angekündigt hätte, vielleicht haben Sie sich auch gedacht ach Gott ja, was ist denn das für ein altes Modell?; jedenfalls geht es mir hier nicht darum - etwa im Sinne der musique concrete - die Quelle des Geräusches zu kodifizieren, zu verrätseln oder zu verheimlichen.
Im Prinzip ist die Quelle vollkommen irrelevant.

Die Quelle ist relevant nur für sehr praktische Fragen:
an welcher Stelle ist sie (die Waschmaschine) - für den Elektriker erkennbar - kaputt?
An welche Stelle halte ich das Mikrophon oder, brachialer, mein Ohr?
Wäre ich technisch ehrgeiziger, würde ich mich sicherlich mit Aufbau und Eigenheiten der Waschmaschine auseinandersetzen, um sie akustisch optimal abnehmen zu können. Das wäre dann die Optimierung der Notiz, der Aufzeichnung. Am Ende hätte ich gereinigtes Material.

Aber schon das Ohr beginnt sich von der Frage nach der Quelle zu entfernen, indem es das klangliche Ereignis nicht theoretisch vorwegnimmt und optimiert, sondern auf es reagiert. Es will nicht aufzeichnen, es will wahrnehmen.
In dem Moment, in dem das Ohr sich also frei von jedweder Instrumentalisierung dem klanglichen Ereignis "Waschmaschine" widmen darf, ist das Ereignis abstrakt und seine Benennung irrelevant.

[II]

In diesen Rahmen, an diesen Ort, zu dieser Uhrzeit das Geräusch einer Waschmaschine zu platzieren wirft natürlich eine noch ganz andere Frage auf: die Frage nach der Bedeutung des Geräusches. Sie ist mit der Frage nach der Quelle verknüpft, aber nicht untrennbar.
Was will uns die Waschmaschine sagen?
(Hier muss man den speziellen Fall "Elektriker" außen vor lassen, denn er weiß meistens genau, was die Waschmaschine ihm sagen will und spricht seinerseits deutlich zu ihr...)
Was also will uns, die wir auf Stühlen vor ihr sitzen und verstört versuchen sie musikalisch zu begreifen, was will uns die Waschmaschine sagen?
Ich habe ein paar Ansätze anzubieten, die allerdings Ansätze zu bleiben verurteilt sind:

  1. Opa "ist" tot.
  2. Oma hängt im Garten Wäsche auf. Sie wechselt drei mal pro Woche die Laken.
  3. Opa "ist" im Paradies oder auch nicht.
  4. Kontrabass und Countertenor treffen aufeinander und haben sich einiges zu sagen.
  5. Ein Kontrabass ist kein Papierfalter.
  6. Ein Countertenor ist kein Papierfalter.
  7. Seine letzten Worte schrieb er auf einen Zettel und hängte ihn mir an die Tür. Drauf stand: ich bin im Garten, die Wäsche aufhängen.
  8. Frage: wessen Worte?
  9. Der Zettel "ist" weg.
  10. Wo ist der Zettel, ich möchte etwas notieren.

[III]

Wenn ich versuche, sprachlich etwas zu notieren, habe ich ein ähnliches Problem wie bei der Aufzeichnung der Waschmaschine.
Erstens ist bei stümperhafter Handhabung der Sound des Aufgezeichnet-Werdens immer präsent.
Zweitens führt das Material ein Eigenleben.
Nur widerwillig fügt es sich in das Gerüst, das zu dem Zeitpunkt schlicht ein Liniengefüge auf einem Zettel oder Display ist; es reckt seine Extremitäten weiterhin in alle Richtungen.
Was überhaupt ist das Material?
Es ist ja nur im besten Fall bereits sprachlich.
Nur im besonderen Fall hat es bereits die Form eines Wortes.
Oft hat es, wenn nicht - wovon ich mich hiermit tatsächlich distanzieren will - die Form eines diffusen Albdrückens, so doch die Form eines Ereignisses nicht-sprachlicher Art: eine visuelle Szene, eine Klangsituation, ein Gedankenspiel... Ein Zusammenspiel jedenfalls verschiedener Elemente, die für sich bereits ein temporäres Gebilde ergeben - und das man, um es in eine Gedichtform zu bringen oder, vorsichtiger: in Gedichtform nachvollziehen zu können, überhaupt erst einmal transkribieren muss.
Ich muss also Worte setzen, die die jeweiligen Elemente jeweils vertreten. Ich muss den kommunizierenden Dingen jeweils einen Namen geben und sie so notieren. Das ist der Akt der Notation. Und der hinkt so heftig, dass einem bisweilen Hören und Sehen vergehen kann.

[IV]

Das rein sprachliche Material - sei es das bereits ursprünglich sprachlich gewesene oder die Transkription - ist mindestens ebenso eigenwillig wie die unvorhersehbaren akustischen Vorgänge in einer kaputten Waschmaschine.
Ich habe Ihnen gesagt: es handelt sich um eine Waschmaschine. Ich habe die Klangquelle benannt. Ich habe mir dazu die Waschmaschine in meiner Küche vorgestellt, die keinen richtigen Deckel hat und an der ich vor ein paar Tagen die Aufzeichnungen vorgenommen habe. Sie haben sich vielleicht eine ähnliche Waschmaschine - (wahrscheinlich eine mit Deckel) - vorgestellt.
Aber: Waschmaschine! Was ist das für ein Wort!
Zweimal Asche. Einmal W, einmal m. Das wuchtige, massive große W am Anfang des Wortkörpers dreht sich in dessen Mitte auf den Kopf und wird zu einem kleinen m. Der Wortvorgang, der Waschvorgang vollzieht sich im Schriftbild: die Wiederholung, asch, asch, das Drehen, Schleudern, W, m. Das lautlich nachvollzogene Rauschen, das Schäumen des Wassers: schsch, das dissonante Brummen Wm der Maschine, die Wärme des Wassers. Am Ende des Wortkörpers noch der gemütlich-personifizierte letzte Schliff durch ein tantenhaftes ine ("Trine").
Harmlos ist das Wort deshalb noch lange nicht.

[V]

Über die schriftbildliche und lautliche Beschaffenheit hinaus sind die Wörter waschen und Maschine auch etymologisch interessant - um noch einmal die Frage nach der Quelle von einer anderen Seite her zu streifen.
Wichtig ist mir aber vor allem die Tatsache, dass die Wörter nicht eindeutig und auch nicht willenlos in das Gefüge GEDICHT eintreten. Sie schillern.
Aber lassen Sie mich erst noch von der Notiz sprechen.
Schon in die Notiz treten sie ein und beginnen sofort zu kommunizieren.
Damit meine ich nicht, dass sie in einer eindeutigen, einer für sie festgelegten Bedeutung nach außen weisen, also mir, als dem die Notiz Anfertigendem oder mir, als dem die Notiz Lesendem etwas Bestimmtes sagen.
Damit meine ich: die Wörter kommunizieren untereinander.

[VI]

Die Wörter treten ein in die Notiz, stehen dicht nebeneinander und kommunizieren. Kommunizieren bedeutet zunächst nicht, dass sie sich sinnvoll verständigen.
Sondern sie reiben sich aneinander.
Sie reagieren.
Sie bringen sich aus der Fassung ihrer Bedeutung und vibrieren.
Im Ernstfall beginnt dabei (unter dem Volt-Geräusch ihrers Aufgezeichnet-Werdens) schon eine neue Verstehens-Schicht sich anzudeuten.
Diese Schicht ist spröde. Sie ist rissig und sicherlich oft fragwürdig.

[VII]

Ich kann nun versuchen, die sich aneinander reibenden, untereinander kommunizierenden Wörter zu organisieren - so, wie ich versuchen könnte, die sich aneinander reibenden, untereinander kommunizierenden Geräusche der Waschmaschine zu organisieren.
Ich würde versuchen, die jeweils einzelnen Elemente (das jeweilige Geräusch, das jeweilige Wort) jeweils annähernd freizulegen:
Das Geräusch von den "Nebengeräuschen" zu reinigen.
Das Wort an eine bestimmte Stelle der Fläche von Display (oder) Papier zu setzen.

Wenn mir daran läge, die anfangs genannten musikalischen Prinzipien des Ereignisses Waschmaschine - den allmächtigen Grundton, die bisweilen mitschwingenden Quinten, die schnellen Beats, die Wiederholungen, die Stille - wenn mir daran läge, diese Prinzipien nachvollziehbar zu machen, müsste ich sie stilisieren. Ich kann meine Wahrnehmung, mein Erleben des Ereignisses Waschmaschine Ihnen nicht eins zu eins vermitteln aus einem schlichten Grund: ich bin keine Waschmaschine.
Ebensowenig bin ich die Summe der notierten Wörter.

Um mein Erleben der notierten Wörter nachvollziehbar zu machen, bleibt mir nichts anderes übrig, als die Vorgänge zwischen ihnen zu stilisieren: auf hochgradig willkürliche Weise werde ich selbst die Reibungen die mir am besten gefallen, provozieren.

[VIII]

Was will uns die Waschmaschine sagen?
Was will uns das Wort Waschmaschine sagen?

Bedeutung scheint dem Wort noch ungleich unbedingter eingeschrieben zu sein als dem Geräusch.
Auch das Wort ist (gesprochen) ein Geräusch.
Das Geräusch ist aber nicht unbedingt ein Wort.

Wenn es mir ernst ist mit dem Wort, kann mein Anliegen nicht sein, das Wort von seiner Bedeutung zu trennen.
Wenn ich aber dem Geräusch Waschmaschine mindestens zehn Bedeutungen zuordnen kann - kann dann nicht auch das Wort Waschmaschine verschiedene Bedeutungen haben?
So subjektiv ich die Bedeutungen des Geräusches innerhalb eines klanglichen Ereignisses bestimmt habe, müsste ich doch auch die Bedeutungen des Wortes innerhalb eines sprachlichen Ereignisses ZUM BEISPIEL DEM GEDICHT bestimmen dürfen.
Wenn aber die Bedeutung dem Wort ohnehin eingeschrieben ist und ich diese verzehnfache - dann kann ich ja auch die Bedeutung des bedeutenden Wortes verzehnfachen, im Sinne der verzehnfachten Bedeutung des Geräusches:
das wären hundert Bedeutungen des Wortes Waschmaschine pro Gedicht!

[IX]

Ich vergleiche nicht die Waschmaschine mit einem Gedicht.
Ich vergleiche die Disposition der akustischen Notizen zu Musik mit der Disposition der verbalen Notizen zu einem Gedicht.

Dennoch wünsche ich jedem mir am Herzen liegenden Gedicht - auch und vor allem den fremden - einen Leser, der auch im Ereignis Waschmaschine ein Gedicht zumindest sucht.

Am Ende bleibt es dann jedem selbst überlassen, ob er das sprachliche Ereignis Gedicht sprechend nachvollzieht und zu einem klanglichen werden lässt - oder ob er es vorzieht, leise der Mechanik zu lauschen.

[X]

Wachmaschine